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In eigener Sache

ich schreibe selten was über mich selbst, eher über meine Arbeit.
Schön, wenn das ein netter Kollege von der Saarbrücker Zeitung übernimmt.

Vielen Dank an Sebastian Dingler.

Er steht niemals still, auch in Covid-Zeiten nicht

Er spielt Keyboard bei Matthias Reim und machte Filmmusik für Mika Kaurismäki:
Bernhard Wittmann in seinem Sulzbacher Tonstudio namens Blaufabrik.   Foto: Sebastian Dingler

Bernhard Wittmann ist einer der umtriebigsten Musiker hier.
Und sein musikalischer Bekanntenkreis reicht über die halbe Welt.

VON SEBASTIAN DINGLER

SULZBACH | Er gehört zu den Künstlern, die niemals stillstehen: Bernhard Wittmann ist nicht nur ein gefragter Livemusiker am Keyboard, sondern auch Tontechniker und Musikproduzent. In Zeiten wie diesen ist das sein Glück: Jetzt, wo die Live-Auftritte fehlen, konzentriert sich der 56-jährige hauptsächlich auf die Studioarbeit und sein neustes Standbein, die Fotografie.

Geboren ist der Musiker in Saarbrücken, danach wächst er in Quierschied, Köllerbach und Walpershofen auf. Die Mutter ist musikalisch, außerdem steht zuhause ein Klavier, auf dem der kleine Bernhard gerne herumklimpert.

Wie es der „gute Zufall“, so Wittmann, will, wohnt der Jazzpianist Johannes Goldbach in Walpershofen um die Ecke. Bei ihm nimmt er Klavierunterricht und lernt erst mal ganz klassisch die Stücke von Bach, Mozart und Beethoven. „Goldbach war ein guter Lehrer, der hat viel auf die linke Hand geachtet, ob die gut läuft.“ Außerdem zeigt der erfahrene Musiker seinem jungen Schüler, wie man reharmonisiert, also unter eine Melodie andere Akkorde als die gegebenen setzt.

Nach dem Realschulabschluss beginnt Wittmann eine Lehre als Orgelbauer bei der renommierten Firma Hugo Mayer in Heusweiler. „Die Arbeitszeit war neuneinhalb Stunden am Tag, da war ich hinterher einfach platt. Viel ging da nicht mehr mit Klavierspielen.“

Dennoch gründet er zu dieser Zeit seine erste Band namens „Barock“ mit Axel Barbian. „Das hatte aber nichts mit Barockmusik zu tun.“ Wittmann mag in seiner Jugend die Beatles und Pink Floyd, bis ihm ein Nachbar die Platte „Elegant Gypsy“ von Al Di Meola schenkt. „Da war ich 16, das war für mich der Zündfunke für die Begeisterung für Jazzrock.“ Weather Report, Herbie Hancock, George Duke, Stanley Clarke, Billy Cobham, Jean-Luc Ponty und Frank Zappa heißen ab da Wittmanns Idole.

Er selbst kommt nun in professionelleren Bands unter wie etwa Comotio. Aus der entwickelt sich Art of Gerfros, Anfang der Neunziger ein bekannter Name im Saarland. „Wir haben damals als lokale Vorband vor Udo Lindenberg gespielt und sind bei einer Wahlkampfveranstaltung für Oskar Lafontaine neben Ute Lemper und Rio Reiser aufgetreten.“

Anspruchsvoll ist Wittmanns Mitwirken bei der Art-Rock-Band Frankenstein: Dort ist er mit seiner linken Hand, Goldbach sei Dank, alleine für die Bassläufe verantwortlich. Die Band gewinnt mehrere Preise und darf in Schüren in Frank Farians ehemaligem Tonstudio aufnehmen.

Das bringt Wittmann zur nächsten Idee: „Als Keyboarder hat man immer diese Nähe zum technischen Aspekt der Musik.“ Er träumt von einem eigenen Tonstudio. Auf dem Weg dahin hilft im der Saarländische Rundfunk. „Ich hatte zu der Zeit schon Kontakt mit Roland Helm, der sich beim SR unter anderem um die Jingles kümmerte. Die hatten gerade ein Problem mit einem neu eingekauften Jingle-Paket, das war denen zu süßlich. Da hat Roland mich gefragt, ob ich was machen kann. Die brauchten das innerhalb von zwei Wochen.“

Wittmann setzt sich an sein Yamaha SY77 Keyboard und entwirft Jingles, die bei den Wellenchefs besser ankommen. Da diese ein paar Jahre im Programm laufen und die Gema dafür gut bezahlt, kann sich der Musiker ein Tonstudio aufbauen – auch wenn er immer noch bei der Firma Mayer arbeitet und zweimal Vater wird in diesen Jahren.

Zunächst nimmt Wittmann im Wohnzimmer auf, dann in einem Gartenhaus. Das Tonstudio und die Engagements als Keyboarder ermöglichen es ihm, als Orgelbauer aufzuhören. Ende der Neunziger kann er die Räumlichkeiten erwerben, in denen er heute noch aufnimmt und nennt das Studio in Sulzbach „Blaufabrik“ – nach der dortigen alten Industrieanlage, die ganz in der Nähe liegt.

Die Bands, in denen er mitspielt, werden immer mehr: Mia Risa, Midnight Mover, Die Redner, Sarrebruck Libre und Brass Machine gehören dazu.

Über die Kontakte seiner Mutter, die 30 Jahre lang ein Straßenkinder-Projekt in der nordbrasilianischen Stadt Fortaleza betreut, reist er 2004 mit einem Sextett nach Brasilien. Dabei sind unter anderem Schlagzeug-Professor Oliver Strauch und Wolfgang Mertes, erster Geiger des Staatstheaters. „Wir haben da hauptsächlich Latin Jazz gemacht. Die jungen Leute dort kannten diese Musik nicht! Das war, als würden wir hier Caterina Valente und Peter Kraus spielen.“

Auf einem Jazzfestival fungieren die Saarländer als Vorgruppe der brasilianischen Musiklegende Hermeto Pascoal: „Da haben die dem Olli Strauch die Becken während des Konzerts abgebaut, weil die schon auf einer anderen Bühne gebraucht wurden.“

Wo Wittmann sich schon mit Brasilien auskannte, kehrte er 2006 dorthin in anderer Funktion zurück, diesmal als Tonmann von Mika Kaurismäki, dem Bruder von Aki Kaurismäki. Der dreht mit dem Weltstar Billy Cobham eine Dokumentation darüber, wie Rhythmus im Menschen verankert ist – in Salvador da Bahia lässt sich das recht gut beobachten. Da am Ende noch drei Stücke Filmmusik fehlen, schreibt Wittmann die auch gleich.

Im vergangenen Jahrzehnt macht der Musiker als Keyboarder überregional auf sich aufmerksam: Der saarländische Gitarren-Virtuose Thomas Blug nimmt ihn mit auf seine Tournee mit dem weißrussischen Gitarristen Viktor Smolski und dem Ex-Scorpions-Gitarristen Uli Jon Roth, schlicht „G3“ betitelt.

Dann kommt ein Schlagerstar ins Spiel: Matthias Reim („Verdammt, ich lieb’ dich“). Der hat einen Engpass am Keyboard, von dem Wittmann über Reims Gitarristen Michael Brettner erfährt. Wie läuft so etwas ab? „Die haben mir alle Noten und Aufnahmen geschickt. Man bereitet sich vor, setzt sich in Zug, Auto oder Flieger und spielt das dann. Beim Soundcheck werden kurz drei Songs angespielt, dann wird gefragt: ,Brauchst du noch irgendwas?’, und schon beginnt das Konzert.“

Das Konzept bei Reim habe Ähnlichkeiten mit der Karriere von Peter Maffay: Im Studio wird Schlager aufgenommen, auf der Bühne aber wird ganz schön gerockt. „Ich habe damit keine Berührungsängste“, meint Wittmann, der durch dieses Engagement seinen Wirkungs- und Bekanntheitsgrad stark erweitert.

Irgendwann kennt man sich eben in der europäischen Musikszene. Und so liest sich die Liste der Musiker illuster, die bei Wittmanns Corona-Projekt, einer Neuaufnahme von Songs wie „Breakout“ und „You on My Mind“ von Swing Out Sister, mitwirken: Gitarrist Jeffrey Lee Campbell hat mal bei Sting gespielt, Supertramp-Bassist Paul Geary ist dabei, Sängerin Amy Bird singt Musicals in London. Dazu kommen saarländische Größen wie Wolfgang Mertes, Posaunist Jan Kamp und Schlagzeuger Sascha Waack, der auch mitproduzierte.

S owohl Bild- als auch Tonqualität der Aufnahmen sind überragend, wovon man sich via Youtube überzeugen kann. Und wozu dieser riesige Aufwand? „Um als Musiker während der Corona-Zeit nicht ganz kirre zu werden“, schreibt der niemals stillstehende Wittmann auf seiner Homepage.
www.blaufabrik.de

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